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Flexibel hat Zukunft – konkrete Anforderungen an nachhaltige Gebäudekonzepte

Das Produkt ist nicht alles

Hersteller preisen gerne ihre Produkte mit den Schlagwörtern „nachhaltig“, „ökologisch“ oder „umweltfreundlich.“ Dass sich diese Aussagen allerdings immer nur auf das Produkt im Vergleich zu alternativen Produkten beschränken, bleibt gerne ungesagt. Anhand Technischen Datenblätter und Umweltproduktdeklarationen, sogenannter EPDs (Environmental Product Declarations), können Planer und Bauherren heute schnell und unkompliziert einzelne Produkte wie Spannbeton-Fertigteildecken, Dachziegel oder Dämmmaterialien miteinander und gegenüber alternativen Materialien vergleichen. Letztendlich sind es aber nicht die Produkte an sich, sondern ihre Verwendung und ihre Einflüsse innerhalb eines Gebäudekonzeptes - über den gesamten Lebenszyklus dieses Gebäudes betrachtet -, die über „nachhaltig“, „ökologisch“ oder „umweltfreundlich“ entscheiden.

Das Gebäudekonzept ist entscheidend

Damit bekommt der Werbeslogan „Beton. Es kommt drauf an was man draus macht.“ eine völlig neue Bedeutung. Ein anschauliches Beispiel: Beim Bau eines Iglus kann man in der Arktis mit Recht von umweltfreundlichen Materialien und einem nachhaltigen Gebäudekonzept sprechen. Das gleiche Bauwerk mit gleichen Materialien würde in Nordafrika vollkommen anders bewertet. Will sagen: Verantwortungsvolle Planer wählen sowieso sinnvolle, umweltfreundliche Produkte. Letztendlich sind es aber die richtigen Gebäudekonzepte, die nachhaltige Bauwerke entstehen lassen. Gebäudekonzepte, die nicht außer Acht lassen, dass die Bauwerke über den Zeitraum von der Errichtung, über die Nutzung bis hin zum Rückbau und zur Materialentsorgung Mensch und Natur möglichst wenig beeinträchtigen. Die Überprüfung aller relevanten Bewertungskriterien ist Sinn und Zweck von Gebäudezertifizierungen wie sie z. B. von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) angeboten werden.

Gebäude müssen anpassungsfähig und lange nutzbar sein

Die drei baulichen Bewertungskriterien für die Nachhaltigkeit von Gebäuden sind ihre ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Qualitäten (s. Schaubild 1). Dabei spielen ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit und die damit einhergehende lange Nutzungsdauer eine wichtige Rolle.

1. Ökologische Qualität

Unter ökologischen Gesichtspunkten muss der Ressourcenverbrauch möglichst gering gehalten werden. Gebäudeleerstand, frühzeitiger Gebäudeabriss und anschließender Gebäudeneubau stehen für Materialverschwendung und Fehlplanung. Zukünftig müssen Umbauten und Umnutzungen zu jeder Zeit ohne großen Materialeinsatz möglich sein. Dafür braucht es anpassungsfähige Tragwerkskonzepte, bei denen Fassaden ohne großen Aufwand ausgetauscht werden können und die ohne tragende, unflexible Innenwände auskommen.

2. Ökonomische Qualität

Für die ökonomische Qualität eines Gebäudes ist ein möglichst langer Werterhalt  von großer Bedeutung. Für Anleger sind Immobilien Wertanlagen, die Rendite bringen sollen. Das erfordert Gebäudekonzepte, die lange und kontinuierlich hohe Mieten versprechen und die schnell und kostengünstig Umbauten und Umnutzungen ermöglichen. Die Voraussetzungen für diese wirtschaftlich guten Rahmenbedingungen schaffen Tragwerksentscheider, die ihre Bauherren oder Investoren anpassungsfähige und damit ökonomische Gebäude konstruieren, in denen Büros schnell und ohne großen Aufwand auf den neuen Mieter zugeschnitten werden können und in denen Familien ihre Wohnungen individuell und kostengünstig für ihre geänderten Ansprüche und Lebensbedingungen umbauen können.

Schaubild 1: Bewertungskriterien für Nachhaltiges Bauen

3. Soziokulturelle Qualität

Auch die soziokulturellen Aspekte spielen bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes eine wichtige Rolle. Menschen sollen sich in der Freizeit in ihren  Wohnungen wohl fühlen und entspannen und während der Arbeit sollen sie in ihren Büros kreativ und leistungsfähig sein. Wieder sind es anpassungsfähige Gebäudekonzepte, die ein Höchstmaß an Flexibilität und Individualität bieten, die zu mehr Lebensqualität und Leistungsbereitschaft führen.

Vier Bewertungskriterien für flexible Tragwerke

Ein flexibles Tragwerk spielt für die Bewertung von Gebäuden bezüglich ihrer Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle und die Entscheidung für oder gegen ein Tragwerkskonzept bestimmt frühzeitig die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Qualität eines Gebäudes.
Anhand vier Bewertungskriterien lassen sich Tragwerkskonzepte auf ihre Veränderbarkeit und damit auf ihre Nachhaltigkeit überprüfen:

  • Sind die Grundrisse - möglichst ohne tragende Innenwände - frei einteilbar?
  • Sind Lastansätze für andere Nutzungsarten berücksichtigt?
  • Sind ausreichende Geschosshöhen für andere Nutzungsarten gewählt?
  • Ist die Gebäudehülle von der tragenden Konstruktion getrennt und sind damit Fassaden austauschbar?   

Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“

Zur Entwicklung von Gebäudekonzepten, die ein möglichst hohes Maß an Veränderbarkeit und Anpassungsfähigkeit mitbringen, sind flexible Tragwerke die grundlegende Voraussetzung. Genau dieser Aspekt wurde im Stadtbaustein im DAfStb/BMBF-Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltig Bauen mit Beton“ unter Leitung von Prof. Dr. C.- A. Graubner untersucht. An einem Referenzgebäude mit einem flexiblen Tragwerk wurden drei Nutzungsszenarien für eine angenommene Nutzungsdauer von 100 Jahren entwickelt: 20 Jahre Nutzung als Zellenbüro, 20 Jahre Umnutzung als offene Bürolandschaft und 60 Jahre Neunutzung als Wohngebäude mit drei verschiedenen Wohnungsgrundrissen. Danach wurde das Gebäude mit einer nichtflexiblen Standardstruktur verglichen, die keine Multifunktionalität, also Umnutzung von Büroraum zu Wohnraum, zulässt. Dieses Gebäude muss nach den ersten 40 Nutzungsjahren durch ein neues Gebäude ersetzt werden (s. Schaubild 2).

Schaubild 2: Nutzungsszenarien aus dem DAfStb-Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltiges Bauen mit Beton“

Mehrkosten in der Bauphase zahlen sich langfristig aus

Unstrittig sind Mehrkosten bei der Errichtung solcher multifunktionalen Gebäude. Beim Referenzgebäude im Verbundforschungsvorhaben lagen die Herstellungskosten für das flexible Tragwerk um 6 % höher als beim Standardtragwerk. In der Nutzungsphase ändert sich dann das Bild und der wirtschaftliche Vorteil wurde deutlich: Die Lebenszykluskosten für das Referenzgebäude mit flexiblen Tragwerk lagen um 16% unter dem Referenzgebäude mit einem Standardtragwerk.

Weniger Materialverbrauch und Umweltauswirkungen

Der geringere Neubau- und Umbauaufwand bei der flexiblen Gebäudevariante wirkt sich in der Untersuchung auch positiv in der ökologischen Bilanz aus: 7% weniger Primärenergie (ohne Betrieb) und 21% weniger CO2-Ausstoß (ohne Betrieb) bedeuten geringere Umweltbelastungen. Außerdem kann der Bauschutt und damit der Rohstoffverbrauch um 21% bei multifunktionalen Gebäuden reduziert werden.

Deutsche MED in Rostock

Ein gutes Beispiel für eine vorausschauende Tragwerksplanung ist die Deutsche MED in Rostock vom Stararchitekten Helmut Jahn. Durch den Einsatz von Spannbeton-Fertigdecken wurden in dem 7-geschossigen Ärztezentrum bis auf die aussteifenden Treppenhäuser und einigen aussteifenden Wänden keine tragenden Innenwände erforderlich. Alle Geschosse sind von den Mietern frei einteilbar. Bei einem Mieterwechsel können alle Innenwände entfernt oder versetzt werden. Außerdem ist die Fassade vom Tragwerk entkoppelt und kann bei Bedarf ohne großen Aufwand ausgetauscht werden. So entstehen anpassungsfähige, lange nutzbare und damit nachhaltige Gebäude.

Deutsche MED in Rostock: Die Decken sind aus 32 cm Spannbeton-Fertigdecken und alle Geschosse sind frei einteilbar
Deutsche MED in Rostock: Die Fassade ist vom Tragwerk entkoppelt